Tinder, Grindr, Tripper – und ein irreführender Artikel

Dr. Alexander von Paleske —— 12.11.2019 ——-

In der Online Ausgabe der grossen oesterreichischen Zeitung Standard fand sich vor drei Tagen ein Artikel mit dem Titel:

Tinder, Grindr und Co: Freie Liebe und viele Folgen

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Darunter:

Dank Dating-Apps wie Tinder ist es so einfach wie nie, sich Sex zu organisieren. Ärzte verzeichnen einen Anstieg sexuell übertragbarer Erkrankungen.

Dating Portale sollen offenbar zu einem Anstieg von mehr Sex mit multiplen Partnern, und damit zu einem Anstieg  sexuell übertragbarer Erkrankungen führen.

Stimmt das?.

Schon seit  Jahren ist  eine Zunahme der sexuell übertragbaren Erkrankungen zu beobachten, und zwar als Folge  ungeschützten Intimverkehrs – mit und ohne Dating Apps.

Dass es wegen der Dating- Apps  zu signifikant mehr Intimverkehr mit wechselnden Partner kommt, ist möglich, ganz sicher  gilt es   für Swinger Clubs und  “Vögeln-Treffen”auf Parkplätzen und anderswo.. Hauptgrund für den Anstieg dieser sexuell uebertragbaren Krankheiten ist jedoch die rapide Zunahme ungeschützten Intimverkehrs.

Irrglaube: Problemlosigkeit

Die Sorglosigkeit rührt gerade  auch aus dem  Irrglauben, Geschlechtskrankheiten liessen sich problemlos behandeln und HIV-AIDS sei kein grosses Problem mehr.

Leider liegt auch der genannte Artikel  auf dieser Linie, wenn er schreibt:

Chlamydien sind mit einer einmaligen Dosis Antibiotikum heilbar. Oft werden Chlamydien gemeinsam mit Gonorrhö (Tripper) übertragen, auch die Symptome sind ähnlich. Gonorrhö ist ebenfalls antibiotisch gut in den Griff zu bekommen.

Diese Aussage ist eindeutig falsch, denn die  Gonorrhoe (Tripper) ist immer schwieriger in den Griff zu bekommen, manchmal bereits  gar nicht.

Die Erkrankung

Gonorrhoe (Tripper) ist eine Erkrankung, die nahezu ausschliesslich durch Intimverkehr übertragen wird.

Weltweit infizieren sich jährlich rund 100 Millionen Menschen, in Deutschland sind es rund 20.000 pro Jahr.

Unbehandelt bzw. erfolglos behandelt kann die schmerzhafte Infektion Harnröhrenstrikturen bei Männern, und Tubenverklebungen mit nachfolgender Sterilität bei Frauen zur Folge haben. Aber die Erkrankung kann auch zur Sepsis mit tödlichem Ausgang führen

Den Schrecken genommen

Die Einführung der Antibiotika, startend mit dem Penicillin  1944, nahm dieser Krankheit ihren Schrecken. Immer neue Antibiotika in den sechziger, siebziger und  achtziger Jahren sorgten dafür, dass diese Krankheit, verharmlosend als „Kavaliersschnupfen“ bezeichnet – trotz langsamer Resistenzbildung gegen die alten Antibiotika – weiter gut und effektiv behandelt werden konnte.

Kondome? Wozu, es gibt doch Antibiotika. Das waren seinerzeit sorglose Zeiten. Bangkoks Rotlichtbezirk wurde zum bevorzugten Ausflugsort von erlebnishungrigen Männern aus Europa. Deren Rotlicht-Damen waren auf Dauermedikation mit Antibiotika gesetzt.

Aber auch in Grossbritannien sieht es jetzt keineswegs besser aus: Trotz der Warnungen vor zunehmender Antibiotikaresistenz, und der Gefahr der Co-Infektion mit HIV-Viren, nahm die Zahl der Gonokokken-Infektionen dramatisch zu.

So wurden im Jahre 2010 in Grossbritannien 11.634 Männer wegen Gonorrhoe behandelt. Im Jahre 2014 stieg die Zahl bereits auf 26. 575. Tendenz: Weiter aufwärts.

Da die Krankheit fast nur durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen wird, spricht dies für extrem sorglosen Umgang mit den Gefahren, die dort  lauern.

Diese Sorglosigkeit ist insbesondere auch auf so genannten „slammer-parties“ zu beobachten: Sex mit multiplen Partnern angeheizt duch  Drogen, insbesondere CrystalMeth.

Zum Beispiel Ciprofloxacin

Die Resistenzentwicklung der Gonokokken lässt sich deutlich am Beispiel der Chinolone (Gyrase- Hemmer) verfolgen:

Standard-Medikament  zur Behandlung der Gonorrhoe war nach seiner Einführung 1984  Cipriofloxacin, Einmaldosis 250mg reichte So gut wie keine Resistenzen.

Das sollte sich jedoch alsbald ändern:

– Zehn Jahre später:  fast 10% resistente Stämme bei Sex-Workern auf den Philippinen.

– Im Jahre 2000 -2005 Resistenz-Anstieg auf 10% in Europa,

– in China bereits 50% resistente Stämme

Als Ausweichmedikament: das Breitbandantibiotikum und Cephalosporin der 3. Generation: Ceftriaxon. Mittlerweile gibt es auch Resistenzen der Gonokokken gegen dieses Breitbandantibiotikum.

Die Zeit der problemlosen  ungeschützten Intimverkehre ist spätestens seit der HIV-Epidemie vorbei. Die Lebenserwartung der HIV/Aids-Patienten hat sich zwar signifikant mit der Einführung anti-retroviraler (Anti-HIV-)Medikamenten verlängert.

Die Medikamente, die lebenslang eingenommen werden müssen haben jedoch Nebenwirkungen. Ich  habe diese Medikamente mehrfach propylaktisch nach Nadelstich-Verletzungen jerweils über einen Monat einnehmen müssen – kein Vergnügen. Hinzu kommt, dass sich auch gegen diese Medikamente Resistenzen bilden können, und bereits gegen einige gebildet haben.. Noch stehen Ausweichmedikamente ausreichend zu Verfügung, aber auch gegen diese werden sich im Laufe  der Zeit Resistenzen bilden.Bisher haben die  Neuentwicklungen noch Schritt gehalten – bisher.

Das gilt jedoch nicht fur Antibiotika, vielmehr drohen wir durch die  Resistenz  multipler Bakterien gegen multiple Antibiotika  in die Vor-Antibiotika Aera zurückzufallen. Bereits einst  noch gut behandelbare bakterielle Infektionen werden wieder tödlich. Die Zahl der Patienten, die an infektionen durch multiresistente Keime versterben,  steigt. Komplizierte Therapien wie Knochenmarktransplantationen sind dann  nicht mehr durchführbar.

Ganz gelegentlich ermutigende Nachrichten von neuen, in Erprobung befindlichen Antiinfektiva,wie jetzt aus dem Hause Polyphor Pharma, können nicht verdecken, dass  insgesamt   die Forschung auf diesem Gebiet, angesichts der enormen Probleme,  völlig unzureichend ist.

SRF 23.10. 2019

Hätte verhindert werden können

Dabei hätte sich diese sich anbahnende Katastrophe verhindern lassen:  durch Unterbindung des  Missbrauchs z.B. in der  Massentierhaltung,  die zwingend auf den Einsatz von Antibiotika angewiesen ist, weil es die Tiere ansonsten nicht bis zum Schlachttag schaffen, Ebenso durch Vermeidung  unnötigen   Einsatzes  in der Humanmedizin.

Warnende Stimmen  gab es viele, so auch der kürzlich verstorbene Stuart B. Levy. Der war führend an der Entdeckung beteiligt, dass Bakterien die Fähigkeit gewinnen  können  Antibiotoka  wieder herauszuschleusen. Und mehr noch: diese Fähigkeit auch an andere Bakterien derselben – und anderer Spezies –  weiterzugeben..  Das war bereits vor 45 Jahren. Levy warnte:

Pay attention to these wonder drugs, they are not going to be around, if we misuse them.

Die Warnungen verhallten weitgehend ungehört, der Missbrauch nahm rapide zu, mit den Folgen haben wir jetzt zu kämpfen –  und noch immer geht der Missbrauch weiter..

Fazit:

Ungeschützter Intimverkehr ausserhalb stabiler Beziehungen ist gefährlich und verantwortungslos:  gegenüber dem Intimpartner und gegenüber sich selbst.

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