Russlands Präsident Wladimir Putin im Interview zum Treffen mit Türkei-Präsident Erdogan und zur Flüchtlingsfrage

Dr. Alexander von Paleske       —-  9.3. 2020  ——   Folgendes Interview landete heute in meiner Mailbox:

Interviewer

Dobroj djen Gospodin President

Wladimir Putin

Zdrasvstvuite

Herr Präsident, Sie sind in der vergangenen Woche  mit dem Präsidenten der Türkei, Erdogan zusammengekommen. Wie beurteilen sie das Treffen?

Es war ein nützliches Treffen, denn wir haben uns darauf geeinigt, die Luftangriffe und die Kämpfe  der Bodentruppen in der syrischen Provinz Idlib einzustellen, vorerst jedenfalls. Eine Feuerpause, nicht weniger – und nicht mehr.

Ich und Erdogan am 5.3. 2020

Die Feuerpause scheint ja bisher zu halten, aber das ist ja keine endgültige Lösung. Es hatte mit dem Abkommen von Sotschi 2018 ja schon einmal eine Uebereinkunft gegeben, die  wesentlich weiter ging, als die Feuerpause jetzt. Warum hat dieses Abkommen denn nicht gehalten?

Die Türkei hatte ihre Verpflichtungen zur Entwaffnung der Terrorislamisten vom Schlage der Al Nusra Front und Ueberresten des Islamischen Staates (IS) nicht erfüllt. Wir hatten seinerzeit die Sunni-Islamisten  samt ihren Kampfbrigaden  aus Städten wie Aleppo herausgebombt, und  ihnen ermöglicht, über einen Korridor  sich in die mehrheitlich sunnitische Provinz  Idlib abzusetzen. Der syrische Präsident Bashar al-Assad und ich  hatten diese “Kröte” geschluckt,  aber immer unter der Voraussetzung, dass diese Islamisten-Banditen schliesslich entwaffnet werden. Die haben aber  die Provinz Idlib als Sprungbrett angesehen, um ihren Krieg gegen die rechtmässige, und von uns unterstützte Regierung Assad weiterzuführen, sich  zu re-gruppieren, terrorislamistische Internationalisten wieder in ihre Reihen aufzunehmen. Damit sollte aber nach dem Sotschi-Abkommen  ein-für-allemal Schluss sein..

Haben Sie Erdogan denn nicht an seine Verpflichtungen erinnert?

Doch, das haben wir. Aber Erdogan war ja nach dem Abzug der US Truppen aus Syrien 2018, die damit ihre kurdischen Verbündeten wie eine heisse Kartoffel fallen liessen,  in Syrien absolut völkerrechtswidrig einmarschiert, mit dem Ziel, eine 30km breite Schutz(Puffer-) zone zu errichten, um so die dortigen Kurden zu vertreiben und auf Abstand zur Türkei  zu halten.  Gleichzeitig hat er diese Al Nusra Terroristen und sonstiges sunnitisch- radikalislamistisches Terror-Gesindel wieder mit Waffen versorgt, mit dem Auftrag, gegen die Kurden vorzugehen, gleichsam als Rammböcke. Seine eigenen Truppen wollte er schonen.

Weshalb gegen die Kurden?

 Die Kurden, ganz gleichgültig ob zu Hause, in Syrien, Irak oder Iran, sind  für Erdogan die Hauptfeinde, Todfeinde, weil er befürchtet, eines Tages würden sie einen Kurdischen Staat ausrufen,  und der soll natürlich auch  Teile der Türkei umfassen. Dort kämpft ja bereits die kurdische PKK gegen die türkische Zentralregierung.

Nachdem Erdogan den innerstaatlichen Dialog mit der PKK und deren Chef Oecalan abgebrochen hatte, und vermehrt mit Gewalt gegen die kurdische Volksgruppe vorging, bekamen  diese umgekehrt auch wieder Unterstützung von Kurden in Syrien und dem Irak. Er hat also durch seine Politik der Kompromisslosigkeit die Lage im eigenen Land nur verschlimmert.

Und was geschah mit den Kurden in Syrien, nachdem die USA sie fallengelassen hatten?

Die Kurden in Syrien, die YPG, nachdem sie geholfen hatten, die Terrorislamisten des IS aus Syrien zusammen mit den USA zu vertreiben, und die IS-“Hauptstadt” Raqqa erobert hatten, und nun schmählich im Stich gelassen worden waren, drohten von den Türken und ihren islamistischen Terrorbanden  vernichtet zu werden. Da offerierte Assad ihnen Unterstützung und Schutz.

Haben Sie das gebilligt?

Ja. Aber wir  haben uns vor allem bemüht, eine weitere Internationalisierung des Konflikts zu vermeiden. Wir haben im Abkommen von Sotschi  2018 gemeinsamen  Patroullien an der Grenze zugestimmt sowie eine Schutzzone – temporär – akzeptiert. Wir haben unseren Teil der Vereinbarung voll erfüllt, nicht jedoch die Türkei. Die hatte fest versprochen,  die Terrorislamisten zu entwaffnen. Das ist jedoch nicht geschehen. Ganz im Gegenteil. Sie bekamen Waffen aus der Türkei, und  wollten Idlib als Sprungbrett benutzen, um Assad zu bekämpfen. Ihr Traum ist nach wie vor ein sunnitischer islamistischer Gottesstaat.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich und mein Verbündeter Assad haben daraufhin beschlossen, die Sunniten aus der Provinz Idlib zu vertreiben, und zwar in Richtung  Türkei. Dort halten sich ja bereits 4 Millionen Syrien-Flüchtlinge, grösstenteils Sunniten, auf, darunter jede Menge Terror-Islamisten. Um dieses Ziel zu erreichen bombardierten wir die Infrastruktur, und griffen mit Bodentruppen an.

Welches Ziel verfolgt Erdogan mit den sunnitischen Flüchtlingen in der Türkei?

Erdogans Plan ist es, sie alsbald wieder über die Grenze nach Syrien abzuschieben, um letztendlich – langfristig – doch noch den Sturz Assads zu erreichen.

Aber er schiebt doch auch Flüchtlinge an die türkisch-griechische Grenze ab

Ja, aber das sind keine Syrer, sondern Afghanen und Iraner. Die will Erdogan loswerden, und die kann er nicht nach Syrien zurückschicken, dort kommen sie ja nicht her. Das sind Wirtschaftsflüchtlinge, und keine Kriegsflüchtlinge. Die wollen ja auch alle nach Europa,  nach Deutschland. Die benutzt Erdogan nun auch,  um Druck auf die EU auszuüben, mehr Geld von dort zu bekommen für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge.

Kann es nicht eine endgültige Friedenslösung dort geben?

Ich sehe im Augenblick nicht, wie wir bei derartig gegensätzlichen Interessen uns einigen können.

Erdogan muss einsehen, dass er die syrischen Terror-Iislamisten nicht als eine Art „fünfte Kolonne“ einsetzen kann, weder gegen unseren Verbündeten Assad, noch gegen die Kurden. Davon ist Erdogan aber noch weit entfernt. Der Konflikt wird also  weiterlaufen.

Was müsste Erdogan Ihrer Ansicht nach tun zur langfristigen Deeskalation?

  • Erdogan muss seinen Plan aufgeben, Assad schliesslich doch noch zu beseitigen. Das war sein Ziel seit dem Ausbruch der Unruhen in Syrien 2011, die von Erdogan und islamistischen Staaten, wie Saudi Arabien, aber auch westlichen Ländern wie USA, Frankreich und Grossbritannien, kräftig geschürt wurden, schliesslich zum offenen Bürgerkrieg und dem Erstarken des IS und der Al Nusra Front  führten.
  • Erdogan muss die Aussöhnung mit den Kurden suchen
  • Erdogan muss anerkennen, dass die sunnitischen Flüchtlinge nicht mehr nach Syrien zurückkommen  können, weil sie sofort wieder Unruhe stiften würden. Die friedlichen Schiiten (Alawiten), die vorher 45% der Bevölkerung stellten, sollen in Zukunft  die klare Mehrheit sein. Sunnitische Aufstände wie 2011 wird es in Syrien dann nicht mehr geben.
  • Erdogan muss für diese Sunniten eine andere Lösung finden. Am besten die 4 Millionen auf die Reise nach Europa schicken, denn der Westen trägt eine Hauptverantwortung für den sich eskalierenden Bürgerkrieg in Syrien. Sie wollten Assad so schnell wie möglich weghaben, und so gossen sie Oel ins Feuer.

Also wird der Konflikt auf lange Zeit weitergehen?

So ist es, es waren die westlichen Länder im Verein mit radikalislamistischen Staaten,  die das säkulare religionsliberale Land Syrien in den blutigen Bürgerkrieg stürzten, statt zusammen mit uns nach einer friedlichen Lösung zu suchen. Nachdem sie, wie im Irak, wie in Afghanistan, wie in Libyen eingriffen –  und nichts als Chaos und Krieg hinterliessen –  sollte  nun auch noch Syrien dran glauben. Ich habe daraufhin eingegriffen, und dafür gesorgt, dass Assad im Amt blieb und dort keine Basis für Islamterroristen sich auf Dauer etablieren kann. Das tue ich schon aus Eigeninteresse. Ich sehe die grosse Gefahr, die von diesen Religionsfaschisten ausgeht, und denen ich im Tschetschenienkrieg eine blutige Lektion erteilt habe. Ueberall in den islamischen Kaukasusrepubliken wie Kasachstan, Turkmenistan, Tadjikistan, Usbekistan versuchen sie Unruhe zu stiften und träumen von einem grossen Kaukasus-Kalifat. Wo immer der Radikalislamismus sein Haupt erhebt, muss gehandelt werden. Leider sind  die Europäer immer noch viel zu blauäugig, was diese Gefahr angeht.

Spassibo, Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview!

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