Führungsanspruch der Grünen im Gesundheitswesen?? – Das Neue Grüne Grundsatzprogramm

Dr. Alexander von Paleske —– 29.6. 2020 ——

Am vergangenen Freitag stellten die Grünen ihr neues Grundsatzprogramm vor, das auf einem Parteitag beschlossen werden soll. Der Schwerpunkt ist jetzt nicht mehr allein die Oekologie, vielmehr ist das nur einer unter vielen. Es geht jetzt um alle gesellschaftlichen Bereiche, wo überall die Grünen nunmehr  Führung reklamieren, also auf Feldern, die bisher – verglichen mit der Oekologie – bei ihnen eher eine untergeordnete Rolle spielten.

Grünen-Spitze bei der Vorstellung, Robert Habeck (li) Annalena Baerbock (m)

Die Folge war das politische Totalversagen der Grünen als Oppositionspartei in der Coronakrise. Weder prangerten sie  die Fehler der Regierung an, noch machten sie  konstruktive Vorschläge. Sie gingen vielmehr in  eine selbstauferlegte politische Quarantäne. Als  Folge davon sackten die Grünen in den Umfragen um fast  10% ab.

Umfassender Führungsanspruch postuliert

Nun, offenbar davon aufgeschreckt,  also ein neues Grundsatzprogramm mit Führungsanspruch in  allen gesellschaftlichen Bereichen.  Ist ihnen das gelungen?

Ich konzentriere mich  auf zwei Bereiche: Gesundheitspolitik und Aussen- und Friedenspolitik.  In diesem ersten Artikel  die Gesundheitspolitik:

Hier haben  vor allem die von der rot-grünen Koalition (1998-2005) verabschiedeten Reformen im Gesundheitsbereich  die  menschenunwürdige Durchkommerzialisierung der Gesundheitswesens  nicht nur gefördert, sondern in vielen Bereichen erst ermöglicht.

Probleme Fallpauschale und MVZ

Knackpunkte sind die Fallpauschale und die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).

Die Fallpauschale  legt  einen Erstattungs-Betrag fest  für die Behandlung einer bestimmten  Erkrankung, ganz gleich, wie lange der Patient im Krankenhaus verbleibt, ganz gleich wie viel die Behandlung im Einzelfall kostet. Zuvor gab es eine Bettenpauschale, also ein fester Betrag pro belegtem Bett, der jedes Jahr neu mit den Krankenkassen verhandelt werden musste.

 Drei Kategorien  stellen sich mit der Fallpauschale  heraus, die es bis dato so nicht gab:

  • Die lukrative Behandlung, die so grosszügig renumeriert wird, dass sie den Krankenhäusern richtig Geld einbringt, also deutlich mehr als die tatsächlichen Kosten. Das sind eine Reihe von Operationen, z.B. an der Wirbelsäule,  Bestrahlungen von Krebspatienten, Koronare Interventionen wie Stentimplantation, die  Hochfrequenzablation am Herzen, Intensivbehandlungen. Ganz überwiegend in Krankenhäusern der Maximalversorgung durchgeführt.
  • Dann gibt es  Behandlungen, die gerade so eben den Aufwand decken:, kleinere Routineeingriffe, einfache Diabeteseinstellung.
  •  Schliesslich  die Behandlungen, die den Krankenhäusern nicht nur nichts einbringen, sondern sie ins Defizit treiben, dazu gehören insbesondere Behandlungen   multimorbider betagter Patienten, mit zwangsläufig längerer Verweildauer. Diese Patienten finden sich vermehrt in kleineren bürgernahen Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung, die deshalb nicht mehr kostendeckend arbeiten können, und  geschlossen werden sollen bzw. schon sind. Und dies angesichts der altersbedingten Zunahme von Erkrankungen.

Folgen der Fallpauschale

Die Fallpauschale hat dazu geführt,

  • dass – anders als mit dem Vorgänger, der Bettenpauschale  – Patienten unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden: wieviel bringen sie dem Krankenhaus ein, bzw. um wieviel vergrössern sie das Defizit. Eine durchaus menschenunwürdige Betrachtungsweise.
  •  dass die Administratoren des Krankenhauses (Volks- und Betriebswirte) direkt sich  in ärztliche Entscheidungen einmischen, indem sie  Behandlungs-Vorgaben machen  oder drohen:

“es müssen mindestens noch soundsoviele bestimmte lukrative Eingriffe/Behandlungen  vorgenommen werden, sonst ist die Existenz des Krankenhauses gefährdet.”

Die Folge: Trend zu überflüssigen, aber lukrativen Operationen/Behandlungen, Trend zu sofortiger Operation statt der Versuch konservativer, aber weniger – oder gar nicht –  lukrativer   Behandlung,  nachgewiesen z.B. an den deutlich  zugenommenen Operationen am Rücken.

  • Lukrative Stahlen- oder Chemotherapie von Krebspatienten bis kurz vor dem Tode, obgleich eine  palliative Behandlung in diesem Stadium weitaus angemessener und humaner  wäre.
  •  Frühzeitige bzw. vorfristige Entlassung von noch behandlungsbedürftigen Patienten, weil sie dem Krankenhausträger nichts mehr einbringen bzw. Kosten verursachen.
  • Maximaltherapie von multimorbiden bettlägerigen Patienten aus Alters und Pflegeheimen auf der Intensivstation, weil diese Behandlung die Kasse  ordentlich zum Klingeln bringt, insbesondere in Verbindung mit Beatmung wenn länger als 24 Stunden..

Hinzu kommt der bereits vor der Coronakrise angelaufene Investitionsstau, der jedes Jahr grösser wird, den die Krankenhäuser selbst gar nicht stemmen können, hier sind Land bzw. Bund gefragt – aber bisher  völlig unzureichende Mittelzusagen.

Fehlen von Pfegepersonal

Ueberall fehlt es in den Krankenhäusern an Pflegepersonal. Die Lage hat sich in den letzten Jahren nicht gebessert, sondern verschlimmert. Die Folge: Arbeitshetze, wenig  Zeit pro Patient, Unterbesetzung gerade auch in den Nachtschichten, nicht angemessene Bezahlung, was den Pflegedienst mit seinen Belastungen unattraktiv macht.

Die Medizinischen Versorgungszentren

Wenn ein Arzt seinen Kassenarztsitz aufgeben wollte, so ging das bis 2003 nur an einen Nachfolger, der selbst noch keinen weiteren Arztsitz hatte.

Ministerin Schmidt und die rot-grüne Koalition  öffneten die Schleusen:  von nun an konnten Ärzte ihren Arztsitz an einen anderen Arzt, der bereits  einen Arztsitz hatte, verkaufen, um dann entweder nicht weiterzupraktizieren, oder aber als Angestellte(r) des neuen Inhaber-Kollegen.

Diese Massnahme  hat mit einiger Verzögerung ebenfalls zu nachteiligen Folgen geführt: für die Patienten, aber auch für die Krankenkassen.

Es war die Geburtsstunde der Medizinischen Versorgungszentreten, vielfach zu Investitionsobjekten und  Profitcentern mit Behandlungskosteneskalation degeneriert. Details siehe hier.

Die Vorschläge der Grünen

Im neuen Grundsatzprogramm der Grünen findet  sich für die Behebung dieser unübersehbaren Probleme folgendes:

Nur ein gut finanziertes Gesundheitssystem kann die Würde der Patienten/Patientinnen und die Rechte der Beschäftigten gleichermassen schützen Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesenes hat so zu Fehlanreizen,  erzwungener Kostenersparnis zu Lasten der Versorgungssicherheit, und zu einer falschen Verteilung von Geldern geführt. Die Krankenhausfinanzierung muss neu gedacht  und im Sinne  der Versorgungssicherheit – undQualität auf die Fläche,  auf eine gute Bezahlung für Beschäftigte, auf Krisenresilienz ausgerichtet werden. Kliniken sollen nicht nur nach erbrachter Leistung, sondern nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden.Dafür müssen die Fallpauschalen reformiert, und um eine strukturelle Finanzierung ergänzt werden.“

Zur Verbesserung der Personalsituation heisst es:

Digitalisierung und Automatisierung kann helfen, den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu bekämpfen und Arbeitsbedingungen zu verbessern.Mithilfe der Koordinierung und des Abgleichs von Kapazitäten und der Uebernahme von unterstützenden Tätigkeiten durch Robotik und digitale Hilfsmittel kann mehr Zeit für Patientinnen und Patienten gewonnen werden.

Bewertung:

Völlig allgemein gefasste Zielvorgaben und Festhalten an dem Grundübel der jetzigen menschenunwürdigen  Situation, der Fallpauschale. Die lässt sich nicht reformieren sondern nur abschaffen,  aber das wollen die Grünen natürlich nicht. Die Medizinischen Versorgungszentren mit ihren Problemen tauchen erst gar nicht erst auf.

Zur Verbesserung der Personalsituation in den Krankenhäusern sollen – neben der  mittlerweile von allen Seiten geforderten Einkommensverbesserung – also Digitalisierung und Robotik kommen

Hallo Witz

Soll das ein Witz sein? Zu digitaliseren gibt es bei der Patientenversorgung nichts mehr, bereits jetzt sind die Aerzte mit Dokumentationspflichten überfrachtet, sie verbringen die Hälfte ihrer Zeit damit, irgendwelche Daten in den Computer reinzufüttern.  Dies muss nicht digitalisiert sondern auf ein erträgliches, absolut notwendiges Mass zurückgeschraubt werden, um so mehr Zeit für die Versorgung der Patienten zu schaffen. Notfalls muss Personal für die Dokumentation ( Dokumentations-Hilfskräfte) eingestellt werden.

Und was soll die Robotik leisten? Robotervisite statt Arztvisite? Virtuelle Visite? Es drängt sich der Eindruck auf, an dem Programm haben Personen gearbeitet, die von den Abläufen im Krankenhaus wenig oder gar keine Ahnung haben.

Privatisierung stoppen

Weiter heist es in dem Grünen Grundsatz-Programm:

Gesundheitsversorgung ist öffentliche Aufgabe, sie muss dem Menschen und der Allgemeinheit zugute kommen.und dient nicht dem Zweck, hohe Renditen zu erzielen. Oeffentliches und beitragsfinanziertes Geld muss im System bleiben. Der Trend zur Privatisierung im Krankenhausbereich muss gestoppt werden.”

Hallo Grüne, habt ihr die Privatisierung verschlafen wie die Corona Epidemie???.

Im Gesundheitswesen ist die Privatisierung schon lange zu beobachten.Kein Trend, sondern mittlerweile ein Fakt, oft genug bereits abgeschlossen.

Das hat die Grünen bisher wenig geschert. Auch dort, wo sie mitregieren,  wie in Hamburg, sind längst  alle städtischen Krankenhäuser,   also alle Allgemeinen Krankenhäuser (AK’s),  an die Firma Asklepios weitergereicht worden.  Insofern ist es geradezu lächerlich hier von dem Stopp eines Trends zu sprechen, der kein Trend mehr ist, sondern bereits Realität. Konsequent müsste die Rückführung, also die De-Privatisierung,  gefordert werden, davon ist natürlich keine Rede.

Voller Allgemeinheit

Viele  Forderungen werden erhoben,  die in ihrer Allgemeinheit jeder unterschreiben kann. Konkrete Massnahmen,, wo sich zwangsläufig Reibungspunkte mit anderen Parteien ergeben, wo die Grünen mehr als nur Grüne Farbe bekennen müssten, fehlen auf der ganzen Linie. Allgemeine Absichtserklärung folgt auf allgemeine Absichtserklärung. Alles bleibt in einer Dunstwolke des Ungefähren. Das schafft aber Raum für Koalitionsverhandlungen mit Schwarz oder Rot, weil man sich ja gar nicht festgelegt hat. Der Drang unter allen Umständen mitzuregieren ist gross und  hat offensichtlich die Feder geführt.

Dass Mitregieren der Grünen  – gerade im Gesundheitsbereich – allein  keinen Fortschritt bringt, zeigt sich in allen Bundesländern, wo die Grünen mitregieren. Und natürlich die extrem negativen  Erfahrungen im Gesundheitsbereich mit der rot- grünen Koalition auf Bundesebene von 1998-2005.

Abhilfe fuer Kostenexplosion

Schliesslich: die explodierenden Kosten im Pharmabereich, insbesondere in der medikamentösen Behandlung von Krebserkrankungen aber auch Infektionskrankheiten wie Hepatitis C. Kaum eine derartige Behandlung kostet mittlerweile  insgesamt weniger als 100.000 Euro pro Patient. Als Lösung wird die Abschaffung des Patentschutzes vorgeschlagen: Nichts als eine vollmundige folgenlose Ankündigung. Vielmehr ist Transparenz  über die Kostenstruktur bei neuen Medikamenten  erforderlich, und dann Limitierung der Verkaufspreise.

Fazit:

Kein Programm, womit ein Führungsanspruch im Gesundheitswesen reklamiert werden kann.

2 Gedanken zu “Führungsanspruch der Grünen im Gesundheitswesen?? – Das Neue Grüne Grundsatzprogramm

  1. Dieses Führungstrio würde in einer normalen demokratischen Wirtschaft, wegen absoluter Dummheit, verhungern
    Es zeigt den derzeitigen Zustand des Landes , welche Politiker uns angeblich regieren! Versager und Schul- und Studienabbrecher. Es kann nur weiter nach unten gehen!

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