Dr. Alexander von Paleske —- 13.7. 2018 —-
In Deutschland und Grossbritannien – aber nicht nur dort – breitet sich eine Medizin aus, bei der das Geld im Vordergrund steht, und die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt.
Während es in Grossbritannien vielfach darum geht, die Alten schneller loszuwerden, wir berichteten jüngst über besonder krasse Fälle: mehr als 400 Tötungen im Gosport Hospital, und schon zuvor über den berüchtigten „Liverpool Algorithmus“: Belohnungen in Geld, die für die Befolgung dieses skandalösen „Liverpool Pathway to Death“ gezahlt wurden, ist dieser Trend in Deutschland – offenbar in allerdings unakzeptabler Weise – umgekehrt. Aber nur dann wenn es sich um Patienten auf manchen Intensivstationen handelt, oder um besonders lukrative, aber vom Nutzen her unnötige oder recht zweifelhafte Eingriffe..
Folgen der Fallpauschale
Zwar geht es auch in Deutschland um drastische Kostensenkung im Gesundheitswesen mit allen Mitteln, insbesondere zu Lasten der Betagten:
- die Schliessung bürgernaher Krankenhäuser,
- die rasche und vorfristige Entlassung multimorbider Patienten von Allgemeinstationen,
alles Folge der von der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und der rot-grünen Koalition eingeführten Fallpauschale. Andererseits aber auch die deutliche Zunahme der nicht selten unnötigen, gleichwohl lukrativen Operationen und gut bezahlten nichtpalliativen Behandlungen, selbst von ausbehandelten Krebspatienten im Endstadium, über die der Palliativmediziner Dr. Thöns schrieb und referierte. Eine verdammungswürdige Fehlentwicklung.
Ermöglicht wird diese Fehlentwicklung durch den Druck der „Flanellmännchen“, der Administratoren, Betriebswirtschaftler, für die Menschen als Zahlen auftauchen. Betriebwirtschaftler, im Fachgebiet Medizin reichlich ahnungslos, die mit Zuckerbrot und Peitsche vorgehen: Zuckerbrot mit lukrativen Arbeitsverträgen, und als Peitsche die Drohung mit der Krankenhausschliessung bzw. Stellenkürzung, wenn die finanziellen Vorgaben nicht erreicht werden.
Und so bekommen Patienten ohne Not künstliche Gelenke und Operationen am Rücken, auch wenn die Indikation (noch) gar nicht gegeben sind, und der Krebspatient noch Betrahlungen, auch wenn sie – selbst aus palliativen Gründen – nicht mehr indiziert sind.
Im Fokus: Intensivmedizin
Aber ein zweifelhafter Behandlunsgzweig ist weitgehend der öffentlichen Aufmerksamkeit entgangen: Die Intensivmedizin. Gedacht als Überbrückung eines kritischen Zustandes: zum einen im Hinblick auf Überwachung, zum anderen bei temporären Ausfall wichtiger Funktionen, wie der Atmung oder der Niere. Denn mittlerweile hat sich die Intensivstation offenbar zu einer Art „Gelddruckmaschine“ für Krankenhäuser entwickelt, und zwar durch das grosszügige Vergütungssystem.
Gegen das Vergütungssystem ist nichts einzuwenden, wohl aber wie es nicht selten ausgenutzt wird: Durch das „Hereinschaufeln“ von Patienten, die dort vorwiegend aus Geldschinderei landen. Selbst eine multimorbide betagte Oma mit einer Lungenentzündung und Ateminsuffizienz , die unter der Bettenpauschale – zu Recht – es niemals auf die Intensivstaion geschafft hätte, oder der Krebspatient mit Lungenmetastasen.
So werden selbst hoffnungslose Fälle, die bestenfalls mit einer minimalen Lebensverlängerung rechnen, und reine Palliativbehandlung brauchen, aber auch durch die Komplikationen dieser Intensivbehandlung nicht selten eine Lebensverkürzung erfahren können, oder als Pflegefälle enden, zu Intensivpatienten
Sie alle werden zu einer Goldgrube, also nichts wie an die Beatmungsmaschine, denn dann wird es richtig lukrativ.– wenn sie denn länger als 24 Stunden dauert, und sei es auch nur eine Minute mehr..
Die Zahlen sprechen jedoch für sich:
– 75% der intensivpatienten befinden sich im Rentenalter,
– jeder vierte leidet an Krebs.
– Eine 60-fache Zunahme auch der Intensivbehandlung zu Hause, verglichen mit 2003 nachdem 27.000 Euro pro Monat dafür vergütet werden wie der Anästhesist und Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns beklagt.
Motto: Mit der Trachealkanüle in den Sarg, und vorher noch „melken“
Risiken unterschlagen, Nutzen vielfach zweifelhaft
Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass mit maschineller Beatmung auch das Risiko nosokomialer, also im Krankenhaus erworbener Infektionen z.B. AtemwegsInfektionen oder Besiedlung von Liegegeschwüren (mitgebracht oder im Krankenhaus erworben) steigt, die beonders resistent gegen Antibiotika sind. Die Intensivstationen sind von dieser Art von resistenten Bakterien dank des massiven Einsatzes potenter Antibiotika besonders besonders betroffen.
Bonuszahlungen als Schmierstoff
Chefärzte, die entscheiden, wer auf die Intensivstation kommt, werden nicht selten mit Bonuszusagen geködert, sie also pro Patient anteilig oder pauschal mitverdienen.
Absolut standeswidrig diese Art der indirekten Bestechung, aber dennoch nicht ganz unüblich. Da nützt es dann auch nichts, wenn die Oma zwar ein Patiententestament verfasst hat, das aber mehr oder weniger elegant ignoriert werden kann, Verwandte, die Einwände erheben, mit medizinischem Fachjargon „kaltgestellt“ werden. Und wenn sie gerichtlich ihre Entscheidungshoheit schliesslich zurückerkämpfen können, ist der Reibach längst gemacht.
Das Pflegepersonal, das von diesen Bonuszahlungen selbstverständlich ausgeschlossen, und oftmals durch Unterbesetzung erheblichem Stress ausgesetzt, wird durch diese rein pekuniär getroffenen „Entscheidungen ohne Menschlichkeit“ frustriert und zunehmend demotiviert.
Der Verfasser, selbst Facharzt, hat auf der Intensivstaion zu Beginn der 80er Jahre noch eine menschliche Medizin erlebt und praktiziert. Hier muss in der Tat von guten alten Zeiten gesprochen werden. Denn natürlich sind Intensivstationen ein Segen bei der Überbrückung von Akutsituationen. Wer hier pauschal von Apparatemedizin spricht, der versteht nicht, wie notwendig und lebensrettend diese Einrichtungen sind. Hier aber geht es eben um den Missbrauch aus pekuniären Gründen.
Was erforderlich ist:
- Sofortiges strafbewehrtes Verbot der Bonuszahlungen, die im Prinzip nichts anderes als versteckte Bestechungsgelder sind
- Entscheidungsgremien statt Chefarzt-Einzelentscheidungen – wie es bei Krebspatienten mittels Tumorboards längst selbstverständlich ist – das über intensivmedizinische Massnahmen unter Einbeziehung der Angehörigen entscheidet, und auch von diesen angerufen werden kann. So wird auch der Druck der „Flanellmännchen“ gemildert
Die lukrative Intensivmedizin, die in Unmenschlichkeit ausartet, muss auf die Anklagebank. Es ist höchste Zeit für dringend erforderliche Massnahmen gegen diesen Misstand.
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