70 Jahre Nationaler Gesundheitsdienst (NHS) Grossbritanniens – Taumeln in eine ungewisse Zukunft?

Dr. Alexander von Paleske      —-    8.8. 2018   —
Der britische Gesundheitsdienst NHS wurde am 5.7. 1948 errichtet.Davor bestanden teils private, teils karitative, teils öffentliche Krankenhäuser, und unabhängige Allgemeinärzte – ein Flickenteppich.
Premier Winston Churchill der England durch den Krieg geführt hatte, wurde 1945 abgewählt – trotz seiner beispiellosen Verdienste um die Verteidigung Grossbritanniens, und schliesslich den Sieg über Nazi-Deutschland- zunächst allein, dann zusammen mit den USA und der Sowjetunion.
Churchill war stockkonservativ, ihm wurde nicht zugetraut, die insbesondere nach Kriegsende drängenden sozialen Nachkriegsprobleme Grossbritanniens zu lösen. So kam die Labour Partei unter Clemet Attlee 1945 ans Ruder, und mit ihr der Gesundheitsminister Aneurin Bevan, Sohn einer Arbeiterfamilie  aus Wales , der die Etablierung eines umfassenden, kostenlosen, und aus Steuermitteln finanzierten Gesundheitssystems vorantrieb.

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Aneurin Bevan (m) 1948

 

Unverzichtbar

Es gibt wenige Einrichtungen Grossbritanniens, die so sehr geschätzt wurden und werden, wie der NHS. Auch die Konservativen haben sich – trotz mehrerer Anläufe – letztlich nicht getraut, an den Grundfundamenten des NHS zu rütteln, und mehrere unabhängige Kommissionen kamen immer wieder zu dem Ergebnis, dass der NHS alternativlos ist.
Gleichwohl wurde durch die Gesetzgebung insbesonder der Konservativen, dazu beigetragen, den Gesundheitsdienst billiger und damit weniger effektiv zu machen.
Hier wurde wurde bereits über die Einrichtung von Call Centern berichtet, die Patienten beraten und auf die “richtige Schiene” setzen sollen, sprich: nicht immer gleich ins Krankenhaus. Gute Idee, aber in den Call Centern ist nichtmedizinisches, und damit für die Aufgabe unerfahrenes Personal am Werk, das aus einer Art von “medizinischen Kochbüchern” seine  Anweisungen und Ratschläge holt.

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Call Centre des NHS        ………unkundiges Personal am Werk

Einstündige Einführung
Aehnliches spielte sich jetzt bei der Eröffnung einer nationalen Brustkrebs-Hotline ab. Dort können besorgte Frauen sich – von medizinischem Fachpersonal sollte man meinen – beraten lassen, wenn sie den Verdacht auf Bruskrebs haben.
Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Das Personal der Hotline ist ohne jegliche medizinische Ausbildung, die Einweisung in den Job dauerte gerade mal eine Stunde, und die Beschwerden sollen anhand einer Liste abgefragt, und dann entsprechend dem Ergebnis Ratschläge gegeben werden. Patientenverdummung ist ein besseres Wort dafür. Da kann das Internet bessere Auskunft geben.

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Guardian 5.5. 2018

 

Mit dem Versuch, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken, zeigt die Regierung vor allem Unverständnis und Ignoranz.
Wie in Deutschland auch, wurden Krankenhäuser zusammengelegt, Notfallambulanzen geschlossen, sodass auf die Verbleibenden eine enorme zusätzliche Arbeitsbelastung zukam.
Das Resultat: Fehler der Aertze bei Diagnose und Therapie, und/oder des Pflegepersonals bei der Pflege und Ueberwachung der Patienten.
Als Folge davon: rapide Zunahme der Schadenersatzprozesse gegen den NHS.
So musste der NHS im Jahre 2017 1,8 Milliarden Pfund an Schadensersatz an Patienten bzw. deren Angehörige auszahlen, doppelt so viel wie noch 2010.
Die Aerzte selbst werden auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen, und können ihre Zulassung verlieren, wobei die Arbeitsüberlastung als Ursache kaum berücksichtigt wird.
So protestierte Medizinzeitschrift Lancet im April 2018 gegen die strafrechtliche Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und anschliessenden Zulassungsentzug der Aertin Hadiza Bawan Garba. Es seien auch und gerade die unakzeptablen Bedingungen, unter denen die Aerrzte arbeiten müssten.

Pure Symptombehandlung
Die Aerztekammer empfiehlt, den Aerzten, sich über die Arbeitsbedingungen zu beschweren, und dies zu dokumentieren – als ob das den Patienten helfen würde.
Die Reaktion der Regierung auf die eskalierenden Schadensersatzprozesse wegen Behandlungsfehlern bestehen nicht etwa in einer Erhöhung des Personals, sondern in der Schaffung einer Einrichtung,, die bei Behandlungsfehlern vermitteln soll, auch Mediation genannt, um Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Die steigenden Versicherungsprämien der Allgemeinärzte sollen durch ein Indemnity- Schema abgefangen werden, mit anderen Worten:  der Staat müsste dann neben dem behandelnden Aerzten ebenfalls verklagt werden.
So werden lediglich Symptome behandelt, aber nicht das Uebel an der Wuzel gepackt
Die Oeffentlichkeit vor 2015 vor der Abstimmung ueber den Austritt aus der EU von den Austrittsbefürwortern damit getäuscht , dass die gesparten Milliarden-Beiträge an die EU zukünftig in den Gesundheitsdienst gesteckt würden. Diese Lüge musste von den Protagonisten, wie dem “Clown” und Ex-Aussenminister Boris Johnson wieder zurückgenommen werden – nach dem Referendum versteht sich.
Und so trudelt der britische Gesundheitsdienst, 70 Jahre nach seiner Gründung, einer ungewissen Zukunft entgegen.

Aneurin Bevan hätte dafür sicher nicht das geringste Verständnis

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