Afghanistankrieg und Afghanistan-Papers: hat auch die Bundesregierung Bundestag und Öffentlichkeit belogen?

Dr. Alexander von Paleske —- 10.12. 2019 —– Drei Jahre  und drei Prozesse hat der investigative Journalist Craig Whitlock  der  grossen US-Tageszeitung Washington Post, die seinerzeit auch den Watergate Skandal aufklärte, gebraucht, um Zugang zu geheimen Papieren über den Afghanistan-Krieg zu erhalten (Afghanistan Papers), und sie gestern veröffentlicht. Gestützt auf das Freedom of Information Gesetz  hat er Tausende von Seiten einsehen können, die zeigen: Die US-Regierungen, von Bush über Obama bis Trump, haben systematisch die Öffentlichkeit über die Erfolgsaussichten des Afghanistan-Krieges getäuscht: dass dieser Krieg –  im Gegensatz zu den vollmundigen Versprechungen der Regierungen – nicht zu gewinnen ist.

Craig Whitlock

Das belegen Interviews mit über 400 Militärs, Diplomaten und Regierungsmitarbeitern. Durchgeführt wurden sie von einer US-Behörde,  einem speziell dafür eingerichteten “Büro des Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau in Afghanistan”. Die Stelle sollte herauszufinden, welche Lektionen man aus dem Konflikt gelernt habe, „Lessons Learned“

Nichts gelernt

Viele der Befragten schildern darin das Bemühen der Regierung, die Öffentlichkeit über die Wahrheit im Dunkeln zu lassen. Statistiken und Studien wurden geschönt, oder gleich gefälscht, um die Situation möglichst positiv darzustellen.

Von „lessons learned“ konnte keine Rede sein:  weiter wurde Geld – mittlerweile mehr als 1 Billion (!) US-Dollar – in diesen sinnlosen Krieg, der nicht – der nie – zu gewinnen war, gepumpt. Die Bilanz:

  • Schreckliche Kriegsverbrechen
  • Mehr als zehntausend  Zivilisten getötet,
  •  Zehntausende wurden zu internen Flüchtlingen, die in Flüchtlingslagern dahinvegetieren.
  •  Folterungen waren offenbar Teil der Kriegsführung der alliierten Soldaten.
  • Todesschwadronen wurden ausgesandt, um angebliche Taliban-Mitglieder zu töten.
  • Auch 52 Bundeswehrsoldaten starben. Viele Soldaten kehrten traumatisiert zurück.

Die rot-grüneKoalition unter SPD-Kanzler Schröder und Grün-Aussenminister  Fischer ist in den Krieg mitgezogen, die Grünen und die SPD haben den Einsatz immer wieder abgenickt, von der CDU/CSU ganz zu schweigen.

Lediglich die Fraktion der Linken und der Grünen-Abgeordnete Ströbele traten gegen den Krieg auf, und stimmten im Parlament gegen den Einsatz der Bundeswehr dort.

Geschichte wiederholt sich

Im Jahre 1971 wurden die geheimen  Pentagon-Papiere (United States-Vietnam Relations, 1945–1967: A Study Prepared by the Department of Defense, kurz Pentagon Papers) veröffentlicht. Sie waren ein  geheimes Dokument des US-Verteidigungsministeriums. Ein Mitarbeiter des Pentagon, Daniel Ellsberg, ein Gegner des Vietnamkriegs nahm sie nach Hause mit, kopierte Tausende von Seiten mit Hilfe seiner Kinder,  und leitete sie an die New York Times und später an die Washington Post weiter.

Daniel Ellsberg

Bereits  die partielle Veröffentlichung  durch die New York Times deckte die Desinformation der US-amerikanischen Öffentlichkeit über den Vietnamkrieg auf. Die Bevölkerung erfuhr:

  •  dass entgegen Beteuerungen beteiligter Präsidenten der Krieg schon vor dem offiziellen Eingreifen im Rahmen der Bekämpfung des Kommunismus geplant war
  • der Tonkin Zwischenfall eine glatte Lüge war.
  •  der Vietnamkrieg, trotz steigender Verluste auf US-amerikanischer Seite weitergeführt werden sollte in der Absicht, den militärischen Feind auszubluten.

Die Veröffentlichung erfolgte gegen den Widerstand der Regierung, die gegen die Veröffentlichung klagte, und schliesslich   vor dem Obersten Gerichtshof der USA verlor. Aus den Urteilsgründen:

Nur eine freie, unbehindert agierende Presse kann wirksam Täuschungen durch die Regierung aufdecken. Und über allen Verantwortlichkeiten einer freien Presse steht die Pflicht, jeglichen Teil der Regierung daran zu hindern, die Menschen zu betrügen und in ferne Länder zu schicken, um an fremdländischen Krankheiten und fremdländischen Kugeln und Granaten zu sterben.“

Beitrag zum Kriegsende

Die Veröffentlichung der Pentagon Papers  trug wesentlich zur Beendigung des Vietnamkrieges bei.

Was wusste Berlin?

Es bleibt aber noch eine weitere Frage: Was wusste die Bundesregierung von den Afghanistan-Papieren. War sie von der US-Regierung darüber informiert ? Wenn ja, hat sie dann das Parlament belogen, um eine Zustimmung zur Weiterentsendung der Bundeswehr zu erhalten? Ganz abgesehen davon: Ist das Verteidigungsministerium aufgrund eigener Erkenntnisse bzw. Erkenntnissen der deutschen und anderer Geheimdienste bereits seit Jahren zu der gleichen Einscht gekommen, ohne dies der Öffentlichkeit mitzuteilen?. Immerhin  war den dort eingesetzten Bundeswehrsoldaten offenbar schon lange klar, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist.

Die Einsetzung eins Untersuchungsausschusses erscheint angesichts der Afghanistan Papers erforderlich .

Kriegsverbrecher aus USA und Grossbritannien bleiben straflos

Weitere Links:

Afghanistan – noch mehr (auch deutsche) Truppen? Eine Stellungnahme von Ex-Botschafter Dr. Werner Kilian

Schrecken ohne Ende? – Ein Interview mit Botschafter a.D. Dr. Werner Kilian
Nach der Afghanistankonferenz – Dr. Werner Kilian im Interview

Verteidigung westlicher Kulturwerte am Hindukusch oder: So fröhlich ist das Söldnerleben in Afghanistan
Keine Strafverfolgung deutscher Soldaten in Afghanistan?
Unsere kanadischen Folterfreunde in Afghanistan
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2 Gedanken zu “Afghanistankrieg und Afghanistan-Papers: hat auch die Bundesregierung Bundestag und Öffentlichkeit belogen?

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