Antibiotikaresistenz durch Massentierhaltung – wie lange noch?

Dr. Alexander von Paleske —– 3.11. 2020

In den Nachrichten über die steigenden  Corona (Covid-19) Infektionen und die US-Präsidentschaftswahlen ist eine  besorgniserregende Meldung der Nichtregierungsorganisation Germanwatch fast untergegangen:

Hähnchenschock bei Aldi & Lidl: Keime in Hähnchenfleisch entdeckt, jede zweite Probe betroffen.

Im Hähnchenfleisch von Deutschlands größtem Geflügelkonzernen sind nach einer neuen  Studie wieder Antibiotika-resistente Keime entdeckt worden. Das Fleisch wird auch bei Lidl und Aldi verkauft. Im Detail:

  • 60 Prozent der überprüften Hähnchen des größten Geflügelkonzern Deutschlands  waren mit antibiotikaresistenten Keimen kontaminiert
  • 33% mit  Keimen, die  auch resistent gegen Reserveantibiotika  sind

Die Hähnchen kamen unter Marken wie “Wiesenhof “ in die Supermärkte.

Der prozentuale Anteil der Kontamination mit antibiotikaresistenten Keimen von den drei Geflügelkonzernen war wie folgt:

PHW-Gruppe (Deutschland)59 Prozent
LDC-Gruppe (Frankreich)57 Prozent
Plukon Food Group (Niederlande)    36 Prozent

Das Schockierende an den Ergebnissen der Studie: In jeder dritten Hähnchen-Proben wurden Erreger gefunden, die auch gegen  Notfall- (Reserve-) -Antibiotika resistent sind. Im Ernstfall könnten Patienten dann nicht mehr erfolgreich  mit diesen Medikamenten  behandelt werden. Selbst bisher gut behandelbare bakterielle Infektionen   könnten  dann zum Tode führen.

Bereits im Juni 2019 hatte Germanwatch  die Ergebnisse einer   in Auftrag gegeben Studie veröffentlicht, die schon sehr beunruhigende   Ergebnisse geliefert hatte:

Jede zweite Discounter-Hähnchenfleischprobe mit antibiotikaresistenten Keimen kontaminiert.

Wie jetzt hatte damals die Organisation Germanwatch  von marktbeherrschenden Discountern angebotenes Geflügelfleich auf multiresistente Bakterien untersuchen lassen.

Jede dritte Hähnchenfleisch-Probe wies damals bereits  Belastungen mit speziellen Resistenzen gegen Reserveantibiotika auf

Schon 2018

Schon  2018 berichtete das Bundesamt für Verbraucherschutz über die  Kontaminierung von Hähnchenfleisch mit dem Durchfallerrger Campylobacter:  52% der untersuchten Proben positiv getestet, 2011 waren es   ( nur!) etwa 32 Prozent der Proben gewesen

 In Proben, die das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) direkt an den Schlachthöfen entnahm, war  der Erreger 2017 sogar bei knapp 79% der Masthähnchen gefunden worden.

Die Erreger Campylobacter jejuni und Campylobacter coli können bei Menschen eine gefährliche entzündliche Durchfallerkrankung (Campylobacter-Enteritis) auslösen.

Trend bestätigt

Die neue Studie von Germanwatch bestätigt erneut  alarmierende  Ergebnisse  und deren katastrophale Auswirkungen: Bereits jetzt sterben rund 7000 Patienten pro Jahr in Deutschland an Infektionen mit multiresistenten Keimen. Weltweit sind es rund 200.000. Und es werden immer mehr,  parallel zur  Zunahme resistenter Keime.

Nicht nur im Fleisch

Mehr noch: Diese multiresistenten Bakterien befinden sich nicht nur auf dem Hühnerfleisch, sondern geraten  über die Gülle auf die Felder, und  über die Kanalisation    in die Flüsse, da die Klärwerke die Bakterien nicht effektiv genug eleminieren können.

So  verstarb  2017  ein Patient an Aspirationspneumonie mit multiresistenten Keimen, nachdem er  in Frankfurt in einen kleinen Fluss gefallen war . Weitere Untersuchungen des Flusswassers stellten die Präsenz dieser multiresistenten Bakterien  fest.

Daraufhin machte sich ein Team von NDR / Panorama auf, und nahm Proben von 11 verschiedenen stehenden Gewässern , darunter aus Badeseen, und Flüssen in Niedersachsen.Das niederschmetternde Ergebnis: Alle Proben enthielten multiresistente Bakterien, darunter auch Resistenzen gegen Colistin, das Reserveantibiotikum in der Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Erregern, das mittlerweile  vermehrt in der Massentierhaltung eingesetzt wird.

Was muss getan werden?

2019 forderte Germanwatch :

Die Antibiotikaresistenzen werden erst dann sinken, wenn die Bundesregierung Reserveantibiotika in Tierfabriken verbietet und alle Veterinärantibiotika mit Festpreisen so teuer macht, dass sie nicht mehr verschrieben werden, um die Folgen der katastrophalen Haltungsbedingungen und der Turbozucht in der Billigfleisch- und Billigmilcherzeugung zu kompensieren“,

Jetzt  fordert Gemanwatch, ausserdem, dass ein „tiergerechtes Zucht- und Haltungsverfahren“  gesetzlich verankert und Hygienedefizite an Schlachthöfen strafrechtlich verfolgt werden,

Das ist jedoch teils naiv, teils zu kurz gegriffen. Mit der massiven Verteuerung der Reserveantibiotika so den Problemen der  Massentierhaltung über die Hintertür beizukommen, wird nicht funktionieren.

Was hilft, ist allein das  Totalverbot des Einsatzes von Antibiotika – nicht nur der Reserveantibiotika – in der Massentierhaltung,

In der Massentierhaltung,  läuft jedoch ohne Antibiotika gar nichts, insbesondere  in der Geflügeltierhaltung schaffen es die Tiere sonst  gar nicht bis zum Schlachttag. Dank der Resistenzbildung in den Ställen kommen nun eben  auch Reserveantibiotika zum Einsatz.

Nicht nur ein paar Betriebe

Es handelt sich bei der Massentierhaltung nicht um ein paar Betriebe, sondern um einen Tierfabrik-Wirtschaftszweig mit einer entsprechenden Lobby. Allein in Niedersachsen werden 400 Millionen Geflügel jährlich durchgeschleust.

Die  Tierfabriklobby ist bestens organisiert, und die  macht Druck auf die Politiker, die wiederum    Steuerausfälle und Arbeitslosigkeit im Falle von Schliessungen befürchten.

Also  wird vorerst nichts Durchgreifendes geschehen, die Resistenzbildung wird weitergehen.  Das heisst: selbst bisher behandelbare Infektionen  zu Todesfallen werden, wir also drohen in eine Aera ohne wirksame Antibiotika zurückzukehren, bis in die 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Therapeutischer Fortschritt wird so auf dem Altar des billigen Fleisches geopfert,  Behandlungen wie  Krebstherapien , Transplantationen etc. unmöglich gemacht.

Ein Lockdown, nein, ein Shutdown dieser Brutstätten derAntibiotikarestsenz ist dringender denn je erforderlich.

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